Der CDU-Politiker Axel Fischer wird wohl nicht geahnt haben, was er da lostritt, als er vor ein paar Tagen ein „Vermummungsverbot im Internet“ forderte. Neben dem üblichen Für und Wider aus der netzpolitischen Welt schwappte nämlich ob der Absurdität dieser Forderung schnell eine Welle des Spotts durch das Internet. Die Phrase „Axel E. Fischer, CDU, fordert…“, gefolgt von absurden Begriffsverknüpfungen, wurde zum Meme und erfreute sich für ein paar Tage großer Beliebtheit, ähnlich wie vor ein paar Jahren „Schönbohm fordert…“, nur daß es damals noch kein Twitter gab und das Meme deutlich weniger populär wurde. Meine drei persönlichen Favoriten seien hier nicht verschwiegen: „Axel E. Fischer, CDU, fordert Führerscheinpflicht für Rickroller.“, „Axel E. Fischer, CDU, fordert Frauenquoten für Man-in-the-Middle-Angriffe.“ und „Axel E. Fischer, CDU, fordert Fangquoten für Fail-Whales.“
Mittlerweile hat Axel Fischer seine Äußerungen relativiert. Es gehe ihm gar nicht um das ganze Internet, sondern nur um „Foren mit politischen Abstimmungsmöglichkeiten“.
Ich persönlich fragte mich ja kurz, ob er da auf Liquid Feedback anspielen will, aber dann ist auch schon die Logik-Einheit in meinem Gehirn angesprungen und hat „der ist in der CDU, nicht der Piratenpartei“ dazwischen gerufen.
Eigentlich könnte einem das ja leid tun. Der Mann fühlt sich offenbar mißverstanden und ungerechtfertig mit Häme überschüttet. Aber niemand zwingt ihn sich mit Netzpolitik zu befassen, der äußert sich da freiwillig, also muß er auch damit leben können, wenn er nach derart unsinnigen Aussagen von netzaffinen Menschen erst wie ein Marsmensch angestarrt und dann ausgelacht wird. Wenn ich beim Bauernverband reinspaziere und fordere, daß es auch fettreduziertes Melkfett für figurbewußte Kühe geben muß, dann würde es mir kaum anders ergehen.
Ich hab mich auch ein bißchen darüber amüsiert und versucht ein paar Variationen des Memes zu bilden. Ich glaube, die ganz großen Würfe sind hier anderen gelungen, aber was soll’s:
- Axel E. Fischer, CDU, fordert totales Routen-Verbot an deutschen Schulen.
- Axel E. Fischer, CDU, fordert Apothekenpflicht auch für SQL-Injektionen.
- Axel E. Fischer, CDU, fordert Bio-Siegel für iMacs aus Freilandhaltung.
- Axel E. Fischer, CDU fordert schärfere Salmonellenkontrollen bei iMacs.
- Axel E. Fischer, CDU fordert niedrigere Schallschutzgrenzwerte für Pings.
- Axel E. Fischer, CDU fordert Gesichtsverpixelungsgebot in IMAP-Diensten.
- Axel E. Fischer, CDU, fordert Kopfpauschale für Festplatten.
- Axel E. Fischer, CDU fordert elektronisches Entgeltnachweisverfahren (ELENA) für alle Arbiter.
Auf den letzten bin ich besonders stolz. 🙂
Etwas tiefsinniger war dann noch: „Axel E. Fischer, CDU, fordert Casinolizenzen für Apachen.“ — Dazu muß man wissen, daß in vielen Bundestaaten der USA de facto ausschließlich Nachfahren von Ureinwohnern Casinolizenzen erhalten, und zwar nur für den Betrieb von Casinos auf ihrem eigenen Land. Das geht soweit ich das verstehe auf alte Gerichtsurteile (in den USA und England werden Rechtsnormen ja nicht nur vom Parlament, sondern auch per Gerichtsurteil geschaffen) zurück, die den Nachfahren der Ureinwohner begrenze Autonomie auf ihren verbliebenen Flecken Land gewährt. Das ganze wurde dann wohl von der Reagan-Regierung mal mit einem Gesetz weiter reguliert.
Mein Problem mit diesem Meme war insgesamt eher, daß viele Varianten davon für mich zu nah an der Realität dran waren und mir so das Lachen im Halse stecken blieb. So zum Beispiel bei „Axel E. Fischer, CDU, fordert Nacktscanner für Datenreisende.“ — ehrlich gesagt hab ich die Vorratsdatenspeicherung ziemlich genau so empfunden. Ganz ähnlich ging es mir bei „Axel E. Fischer, CDU, fordert Öffnungszeiten für Online-Shops.“ — auch das droht uns bereits, das Stichwort hier lautet Jugendmedienschutzstaatsvertrag. In Deutschland gehostete (Achtung, ironischer Euphemismus:) Erwachsenenunterhaltungsangebote sollten zumindest einem Entwurf nach dann nämlich nur nachts geöffnet sein — ich hoffe der Entwurf wurde nochmal geändert. Jeder netzaffine Mensch faßt sich bei dem Gedanken an den Kopf und schaut aufs Kalenderblatt in der Hoffnung, es wäre vielleicht doch irgendwie der 1. April, verzweifelt aber letztlich bei dem Gedanken, daß es viele Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die sich bei dem Gedanken eben gerade nicht an den Kopf fassen und allzu oft leider auch nicht belehrbar sind. Ganz ähnlich geht es mir immer, wenn ich mit Leuten konfrontiert werde, die ernsthaft glauben Homosexualität könnte ansteckend sein oder Homosexuelle würden versuchen Leute zu rekrutieren oder zu bekehren. Schließlich kommt man sich ja auch selbst ein bißchen seltsam vor, wenn man sich als der einzige in seinem Umfeld sieht den das befremdet.
Man konnte anhand dieses Memes sehr deutlich sehen, wie groß die Kluft in unserer Gesellschaft zwischen denen die das Internet in seiner ganzen Vielfalt schätzen und mindestens ein bißchen verstehen, und jenen die ihm mit völligem Unverständnis und weitgehender Ahnungslosigkeit gegenüber stehen selbst wenn sie es nutzen sollten, tatsächlich ist. Dieser Konflikt zwischen den modernen Ludditen und den selbstproklamierten Netzbürgern ist so grundlegend, daß man kaum Vergleiche dafür finden kann, so etwas ist nunmal noch nicht vorgekommen. Würden hierzulande Amische die Politik in Fragen der Wissenschaft, Unterhaltungskultur und der sexuellen Freizügigkeit prägen, wäre ein ähnlicher Konflikt denkbar. Meines Erachtens wäre es aber äußerst unfair den Amischen so viel Überheblichkeit zu unterstellen das auch nur zu versuchen, denn in der Tat halten sie sich aus den Angelegenheit der Welt jenseits ihrer Gemeinden nunmal aus Überzeugung heraus.
Je länger dieser Konflikt nun schon andauert, desto größer scheint die Kluft zu werden. Selbst nach der Bildung der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft scheint die Kluft immer noch weiter aufzureißen. Entwickelt sich der Teil der Gesellschaft, der das Netz halbwegs kennt und sich gerne dort rumtreibt zu schnell und kommen jene, die mit all dem nicht viel anfangen können einfach nicht hinterher, werden sie wohlmöglich zunehmend abgehängt? Werden wir in ein paar Jahren von digitalen Verlieren sprechen? Werden Abgehängte und Netzverweigerer in ein paar Jahren durch die Vorstädte marodieren?
Spaß (hoffentlich wird das nicht wahr!) beiseite. Ich will hier auch ein bißchen was aus unserer täglichen, beruflichen Erfahrung einfließen lassen. Wer hier regelmäßig mitliest, kennt das zum Teil schon: Es vergeht fast keine Woche, in der uns nicht irgendein politisches Vorhaben Sorgen bereitet, weil es alle möglichen negativen Auswirkungen auf unsere Arbeit, also unsere Jobs, haben kann: Wären wir von der Vorratsdatenspeicherung betroffen gewesen, hätte uns das viel Geld kosten können, meinen Arbeitsplatz würde es dann vermutlich gar nicht geben. Haben wir Kunden, die beim Zwang nächtlicher Öffnungszeiten für Erwachsenenangebote mit dem Hosting ins Ausland abwandern könnten? Sind wir als unfreiwillige Mitstörer haftbar, wenn unsere Kunden ihre Kunden betrügen?
Und wenn es keine politischen Vorhaben sind, dann sind es Winkeladvokaten die einer Heuschreckenplage gleich das Land mit Abmahnungen überziehen, weil sie eine neue Gesetzesfehlformulierung entdeckt haben, die sie ausbeuten können. „Computer verarbeiten IP-Adressen! Rette sich wer kann!“ Und wenn es nicht das ist, dann sind es Ermittlungsbehörden. Kein Jahr geht ins Land, ohne daß seltsame Schreiben und Anrufe von Polizisten und Staatsanwälten bei uns eingehen, bei denen wir nicht erstmal die Zusammenhänge entwirren und dann Aufklärungsarbeit zu leisten haben. Immerhin nehmen die meisten Polizisten und Staatsanwälte das sehr dankbar an, aber es gibt leider auch immer wieder renitente Fälle, die uns dann letztlich viel Sorgen bereiten und natürlich auch (Anwalts-)Kosten verursachen. Da ist man dann schon bald froh, wenn es wenigstens mal zur Klageerhebung kommt, denn nur wenn das passiert und man den Prozess gewinnt, kann man die Kosten erstattet bekommen.
Angesichts dieser Erfahrungen, aber vor allem der Geschichten die so durch die Medien gehen kommt mir mittlerweile der Verdacht, daß es auch einen guten Anteil von Menschen in unserm Land gibt, die hier nicht lernwillig sind, sondern einfach die Uhren zurückgedreht haben wollen und zwar um mehr als eine Stunde. Ich könnte jetzt das böse Wort Integrationsverweigerer dafür benutzen, aber da ich bis heute keinen die Integration verweigernden Einwanderer kennen gelernt habe, sondern nur solche die einfach nicht die richtigen Angebote gefunden haben oder die richtigen Angebote nicht sie, ist der Begriff Integrationsverweigerung für mich verbrannt. Ich bleibe liebe bei Ludditen, das ist auch nicht politisch korrekt, aber ich kenne keine echten Ludditen denen es schadet.
Im Fragen des Internets kommt es mir jedenfalls oft so vor, als wenn da die Kluft größer wird und das auch mehr und mehr zu Verwerfungen führt. Es wird auf absehbare Zeit eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft sein, diesen Konflikt noch weiter auszuhalten und am Prozess einer Lösung zu arbeiten. Immerhin scheint zumindest die Notwendigkeit des Diskurses endlich eingesehen worden zu sein. Jetzt müssen wir wohl als nächstes erstmal die Diskussionpartner der anderen Seite soweit bilden, daß der Diskurs ernsthaft geführt werden kann. Solange die nämlich noch auf dem Feld „Oh Gott, in Foren und auf Mailinglisten posten die Leute pseudonym! Die verwenden keine Klarnamen? Hilfe!“ stehen, kann es nämlich keinen sinnvollen Diskurs geben, dafür müßte man schon die gleiche Sprache sprechen.
Insofern ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn Apple an seinem walled garden pflanzt und mit Facebook und anderen Diensten wieder AOL-ähnliche walled communities im Internet entstehen. Möglicherweise können die als die geschützen Kinderspielwiesen dienen, die hier nötig zu sein scheinen.
Insofern hoffe ich auf bessere Zeiten, drücke aber gleichzeitig meine Befürchtungen in folgender Variante des beliebten Memes aus: „Axel E. Fischer, CDU, fordert Bombardierung von Rechenzentren durch die Bundeswehr bei akuter Terrorgefahr.“ Das passt auch gut zu den aktuellen Fnords in den Nachrichten.