Wenn klassische Presse über IT-Themen berichtet

… dann bleibt Fremdschämen selten aus. Über einen Hinweis von Bert Ungerer kam ich auf den taz-Artikel Panne bei T-Online. Er mag heute einmal repräsentativ für viele Artikel mit IT-Bezug stehen, die man in der Nicht-IT-Presse so findet – dass es hierbei ausgerechnet die taz trifft, ist dabei schlichter Zufall. So wird im Artikel berichtet:

Unangenehme Überraschung für Kunden von T-Online. Wenn sie in den vergangenen Wochen E-Mails versandten, bekamen sie oft unvermutete Fehlermeldungen: Ihre Nachricht konnte nicht zugestellt werden, wurde verzögert oder blieb einfach verschwunden.

Vielleicht bin ich hier einfach nur vorgeschädigt, aber ich kann es langsam nicht mehr hören. E-Mails verschwinden nicht, und es ärgert mich zunehmend, wenn das Medium E-Mail von irgendwelchen Schlaumeiern als unzuverlässig gebrandmarkt wird. Ja, E-Mails landen im Spamordnern. Ja, E-Mails werden verzögert, beispielsweise durch Greylisting. Ja, E-Mails können bouncen, wenn der Empfängerserver sie nicht akzeptiert. Aber sie verschwinden nicht. Das ist nur der vordergründige Eindruck, der bei vielen Usern entsteht, die schlicht keinen Blick in ihren Spamfilter werfen oder Bounces nach dem Motto „Das ist ja Englisch, das versteh ich nicht“ löschen und dann so tun als wüssten sie von nichts. Die Fälle, in denen E-Mails tatsächlich verschwinden, sind extrem selten (triple bounces würden mir hier ad hoc einfallen) und praktisch immer auf klare Fehlkonfigurationen zurückzuführen – die dann aber eben überhaupt nichts mit dem Spamproblem zu tun haben und in der Regel auch nicht auf das Medium E-Mail zurückzuführen sind, sondern auf entsprechende von Usern selbst verfasste Filterregeln.

Schuld war ein Spam-Filter, der die Mail-Server des deutschen Groß-Providers als Versender unerwünschte Werbepost deklarierte.

Man mag den Unterschied für akademisch halten, aber: Spamcop ist eine Blacklist und kein Spamfilter. Betreiber von Mailservern können aus freien Stücken entscheiden, ob sie eine solche Blacklist heranziehen, um ihre SMTP-Verbindungen bereits grob vorzufiltern. Spamcop selbst filtert überhaupt nichts – das wäre technisch auch gar nicht möglich, solange nicht die MX-Records im DNS den Mailtraffic einer Domain explizit über Spamcop routen würden. Stattdessen stellt Spamcop einfach nur die Information bereit: „Von diesem und jenem Host wird viel Spam versendet“, und diese Information ist zunächst einmal schlicht und einfach wahr – das leugnet ja nicht einmal T-Online. Es ist also mitnichten so (und dieser Eindruck entsteht aus dem Artikel), dass einfach mal irgendso eine Antispamfirma den ausgehenden Mailverkehr von T-Online abklemmen könnte. Das ist immer noch die freie Entscheidung der Betreiber der empfangenden Mailserver, ob sie der Empfehlung von Spamcop folgen wollen oder nicht.

Spezialisierte Betreiber wie Spamcop überwachen das Spamvolumen weltweit und registrieren haargenau wie viele Spam-Nachrichten von einer IP-Adresse kommen.

Das ist blanker Unsinn. Wenn Mailserver A eine Mail an Mailserver B sendet, dann bekommt Spamcop davon exakt überhaupt nichts mit. Faktisch hat Spamcop nur zwei Datenquellen: Einerseits manuelle Beschwerden, bei denen Empfänger unerwünschter Mails jene an Spamcop meldeten, und zweitens Spamfallen, also E-Mail-Adressen, die nie für legitimen Mailverkehr verwendet wurden und somit ausschließlich von Spammern angeschrieben werden, sei es, weil sie jene Adressen schlicht geraten haben, oder weil sie Websites oder Verzeichnisse abgescannt haben, wo jene Mailadressen publiziert wurden. Spamcop hat also eben gerade keine Ahnung, wie viele Spam-Nachrichten von einer IP-Adresse kommen. Es zählt nur Beschwerden. Der Unterschied mag im Detail liegen, aber da der Autor explizit konstatiert, Spamcop würde die Anzahl der Spam-Nachrichten „haargenau registrieren“, ist anzunehmen, dass er schlicht nicht begriffen hat, wie Spamcop funktioniert (und wie nicht).

Doch alle Bemühungen von T-Online, von der Spamcop-Liste gestrichen zu werden, scheiterten zunächst, da der Anbieter auf seine Regeln beharrte: Wer von der Liste gestrichen werden will, muss den Spam-Ausstoss seiner Mailserver auf ein Mindestmaß beschränken.

Abgesehen davon, dass der Autor hoffentlich gemeint hat, dass Mailserver den Spam-Ausstoß auf ein Minimum beschränken sollten (denn was wäre denn bitte ein Mindestmaß für Spam-Ausstoß?!), ist das erstmal durchaus richtig. Die Formulierung aber, dass T-Online sich doch irgendwie „bemüht“ habe, und dass das aber „gescheitert“ sei, legt nahe, dass der Autor offenbar der Meinung ist, Spamcop habe das Scheitern gewissermaßen verschuldet. Aber warum genau hätte Spamcop sich auch anders verhalten sollen? Spamcop veröffentlicht, von wessen Servern viel Spam versendet wird. Von den T-Online-Mailservern wurde viel Spam versendet. Die Information, die Spamcop dann entsprechend führt, ist also völlig richtig, und sie ist auch nicht einfach so zurückzunehmen, nur weil T-Online quengelt. Hinter der Formulierung des Autors steht offenbar die Einschätzung, dass T-Online für das Internet sozusagen „too big to fail“ sei und man hier entsprechend Sonderregeln schaffen müsste, weil … ja, warum eigentlich? Es gibt nämlich eben genau keinen Grund, für T-Online irgendwelche Sonderregeln zu schaffen. Die müssen sich an die Spielregeln halten und Spam so weitgehend wie möglich vermeiden, so wie auch wir, und so wie auch jeder andere Provider.

Als es dann schließlich darum geht, dass T-Online nun auch Spamfilterung für ausgehende Mails durchführt, ergänzt der Autor:

Solche Filter sind noch nicht üblich, werden aber von immer mehr Unternehmen eingesetzt. Das Problem: die Trefferquote mag auf Papier weit über 99 Prozent liegen. Bei Millionen Nachrichten Täglich bleiben aber immer wieder einige hängen. Der elektronische Briefträger ist nicht verlässlich.

Schon wieder dieses Märchen von der unzuverlässigen E-Mail..! Es gibt exakt zwei Varianten: Entweder T-Online akzeptiert eine Mail zum Versand – oder aber eben nicht. Und dann erhält der Absender eine Fehlermeldung. Vielleicht versteht er sie nicht; vielleicht ignoriert er sie; vielleicht zeigt sein Mailclient sie ihm nicht auffällig genug an, aber das ändert nichts daran, dass der „elektronische Briefträger“ sehr wohl verlässlich ist.

Versuche ich nun also, mein gesamtes bisheriges Wissen über E-Mail zu vergessen und völlig unbefleckt diesen Artikel zu lesen, so habe ich heute gelernt: E-Mail ist ein unzuverlässiges Frickelsystem, in dem laufend Mails veschwinden; es gibt eine Firma namens Spamcop, die genau weiß, welche IP wieviele Spammails verschickt (wofür rein logisch zwingende Voraussetzung ist, dass sie offenbar den gesamten E-Mail-Verkehr des Universums analysiert); und wenn diese Firma namens Spamcop das so will, dann kann sie alle Mails, die T-Online verschickt, als Spam deklarieren – oder die Mails auch ganz verbannen; der Autor scheint sich da nicht sicher zu sein. Und außerdem hat T-Online sich doch bemüht (man versuche das doch einmal, wie ein „er hat sich stets bemüht“ in einem Arbeitszeugnis zu verstehen), aber obwohl T-Online doch – da sind wir uns natürlich alle einig – ein hochseriöses Unternehmen ist, hat diese patzige Spamcopfirma einen auf dicke Hose gemacht und war so kleinkariert, auf seinen Regeln zu beharren, statt für den womöglich größten Provider Deutschlands doch mal Fünfe gerade sein zu lassen.

Was dem Artikel letzten Endes völlig abgeht, ist der simple Fakt, dass es längst überfällig war, dass T-Online sich seiner hauseigenen Spamproblematik verstärkt annimmt. Ich bezweifele, dass es so zügig dazu gekommen wäre, hätte dieses Blacklisting durch Spamcop nicht stattgefunden. Und ich zolle T-Online meinen Respekt dafür, dass es sich nicht einfach nach Gutsherrenart einen Teufel drum geschert hat, dass irgendeine Firma ihre Mailserver auf einer Blacklist führt, sondern dies zum Anlass genommen hat, tatsächlich aktiv etwas gegen ihr Spamproblem zu tun. Im Endeffekt ist das Internet also ein kleines bisschen besser geworden. Dafür sollten wir nicht nur T-Online für die längst überfällige Spam-Prophylaxe danken, sondern auch Spamcop, die das forciert haben.

Was bleibt, ist meine Enttäuschung über die entsetzliche Qualität des Artikels. Wenn ich nun schon Artikel zu Themen, bei denen ich mich selbst doch recht gut auszukennen glaube, derart haarsträubend finde: Wie könnte ich dann Artikeln aus Themenbereichen, von denen ich weitaus weniger verstehe, noch das Vertrauen schenken, dass mir jene sachlich, korrekt und ausgewogen erklären, was in der Welt gerade so wichtig ist? An einer eigenständigeren, geschärften Medienkompetenz, die einen dazu ermutigt, auch weiterführende und auch alternative Quellen zu berücksichtigen, führt also wieder einmal kein Weg vorbei.

2 Antworten auf „Wenn klassische Presse über IT-Themen berichtet“

  1. Sehr schöner Artikel – spricht mir aus der Seele.
    Meiner Erfahrung nach kämpft man da aber gegen Windmühlen. Die meisten Leute wissen ja nicht einmal, dass E-Mail ein asynchrones Kommunikationsmedium ist, und erwarten (wie bei Fax oder ICQ) dass die eben gesendete E-Mail auch sofort beim Empfänger vorliegt… 🙁

  2. Oh ja, das geht mir auch regelmäßig so und jedes Mal frage ich mich, ob das bloß an diesem ominösen „neuen“ Medium Internet liegt, das ja, ach Gottchen, niemand mehr verstehen kann oder ob das ein generelles Phänomen ist und ich bei Artikeln über andere technische oder wissenschaftliche Themen einen ebenso großen Mist aufgetischt bekomme.
    Mit IT-Themen kenne ich mich gut genug aus, um das beurteilen zu können, aber wie du schon schriebst: es gibt genug Themen, die ich nicht objektiv beurteilen kann, weil mir da schlicht das Hintergrundwissen fehlt. Es wäre z.B. mal interessant, von einem Psychologen zu hören, was er so von in der Tagespresse veröffentlichten Artikeln über Psychologie hält. Oder von einem Arzt über Medizin oder einem Anthropologen über indigene Völker oder…

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